Gefährten – Konkurrenten – Verwandte:

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Gefährten – Konkurrenten – Verwandte: Das Verhältnis von Mensch und Tier in der Geschichte


In den verwobenen ökologischen Beziehungsgefügen der irdischen Lebensgemeinschaften ist wohl keine Beziehung so wechselhaft und in sich widersprüchlicher als die des Menschen zum Tier. Hyper-romantische Vorstellungen sehen ja den archaischen Menschen als „im Einklang mit der Natur“ stehend, also als ökologisch und biozönotisch neutral in der „nachhaltigen“ Wirkung seiner Existenzentfaltung in Raum und Zeit. Der frühe Mensch wird, als Ausfluss seiner „äffischen“ Abstammung, in gelegentlicher wechselseitiger Beziehung zu ihn umgebenden Mitgliedern der Biozönose gestanden haben. – Im natürlichen System aus Jägern und Gejagten, in dem die Nahrungskonkurrenz mit Tieren um die vegetabilischen Nahrungsressourcen von dominierender Bedeutung gewesen sein wird.

Wobei die frühen Hominiden zweifelsfrei eher zu den „Gejagten“ gezählt haben dürften. Das Erbeuten oder Sammeln von Nahrung animalischen Ursprungs war fakultativ und zufallsbedingt. Vegetarismus war die Lebensgrundlage. Aktiv erbeutet wurden zweifelsfrei nur wenig Tiere, attraktiver war wohl aufgefundenes Aas Die Aufnahme von Aas hat dann die gezielte Suche nach solchem induziert und die Erhöhung der animalische Komponente in der Nahrungszusammensetzung bewirkt mit Steigerung in Quantität und physiologischer Qualität der Gesamtnahrung.

Die durch Fette energiereichere tierische Kost ermöglichte größere Leistungen des viel Energie verbrauchenden Gehirns und dessen massemäßigen Zunahme, dies wiederum dessen Leistungssteigerung. An die Stelle des Suchens nach Tierkadavern trat zunehmend die Ausformung der aktiven Nachstellung. Der bis dato eher selbst gejagte Hominide entwickelte sich zunehmend zum Beutegreifer bis hin zum entsprechend spezialisierten Subsistenzjäger – je nach den Gegebenheiten im jeweiligen Ökosystem. Das Tier gelangte immer mehr in die Rolle des Nahrungslieferanten aus Aas oder Beute, woraus sich die Optionen zur Besiedlung der Ökosysteme der höheren Breiten mit entwickelt haben. Mit zum Teil fatalen Folgen für einzelne Arten , die durch den in einer Bevölkerung ansteigenden Subsistenzjäger in zumindest existenzielle Engpässe oder sogar in die Ausrottung (?) gedrängt wurden. Jedenfalls war das Tier Beute und Nahrung: Verfolgt wurden jene, die ganzjährig fettes, energiereiches Fleisch liefern, ohne Rücksichtnahme auf Art, Alter oder Geschlecht der Beute. Präferiert wurden Großtiere – der Mensch ist kein Mäusejäger! Andererseits hat diese Betätigung auch die sowohl zivilisatorische Entwicklung bestimmt, etwa durch die Erfindung und Entwicklung von Jagdgerät und –waffen, als auch kulturelle Einflußnahme geübt, wie sie sich in den Höhlenmalerien, Skulpturen u.a. finden., bis hin zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Wesen der Beutetiere im „Jagdzauber“.

Die Einwirkung auf die Lebensräume waren wohl eher unbedeutend, ebenso – zumeist ? - die Auswirkungen auf die Populationen der Beutetiere; so lange eine zahlenmäßig kleine archaische Menschenbevölkerung bestand. Die menschheitliche Entwicklung (der einzigen überlebenden Art der Gattung Homo) ließ aber das Beharren auf dem gefahrenreichen und im Ertrag stets unbestimmten Jägerstatus nicht zu. Die Möglichkeiten der Weiterentwicklung fanden sich in Ackerbau und Viehzucht mit der Domestikation vormals wildlebender Arten und der Ausformung von Haustieren. Aus dem bis dahin als Konkurrent, Fressfeind oder Nahrung liefernde Beute aufscheinenden Tier wurde eine vielseitige, leicht und verlässlich verfügbare Ressource. In einer Symbiose bot der bäuerliche Mensch dem domestizierten Tier die Entlastung von den beiden, das Leben des Wildtiers übergeordnet bestimmenden, Elementen „Nahrung und Deckung“; sicheren Stall und tägliche Fütterung honorierte das landwirtschaftliche Haustier als vielseitiger Partner: Vom Zugtier oder Reittier bis zum Lieferanten von Milch, Wolle, Fleisch, Häuten oder Eiern. Das machte ihn zum wertvollen Gefährten und wertgeschätzten Mitglied einer Gemeinschaft in Haus und, in mal lockerer, mal engerer Beziehung.

Die Subsistenzjagd als vormals bedeutsame Auseinandersetzung mit dem Wildtier erfuhr den Wandel zur Schutzjagd, bei der das Ziel des Nahrungserwerbs zurücktrat gegenüber dem Bedürfnis nach dem Schutz von Feldfrüchten oder draußen gehaltenen Weidetieren vor den Zugriffen freilebender Tiere. Das Fortschreiten von Ackerbau und Viehhaltung zeitigte jedoch tiefgreifende Veränderungen in den natürlichen Lebensräumen und Lebensgemeinschaften mit der Verdrängung zahlreicher Arten, insbesondere unerwünschter Konkurrenten und Feinde der Kulturpflanzen und der Haustiere. So wie wechselseitig völlig neue Lebensräume und Biozönosen entstanden, gleichermaßen sogar Haustiere eingeführt wurden, deren Ahnen andernorts heimisch waren.

Wobei aber Homo sapiens auf Grund seiner Denkweise in einer anthropozentrischen Gedankenwelt stets nur den eigenen Vorteil im Auge hatte. Die bildhafte Darstellung der Arche Noah zeigt wohl, dass zumindest bei der alttestamentarischen Denkweise ein Verständnis im Sinne einer „biozentrischen“ Gedankenwelt herrschte; doch hat zugleich der biblische Rat, sich die Erde „untertan“ zu machen, für die Beziehung der anthropozentrisch orientierten Menschen fatale Konsequenzen für das Tier gezeitigt: Es ist zum Objekt degradiert, das in einer Einteilung in „gut und böse“ für alle jeweiligen Zwecke beliebig zur Verfügung steht. Da reicht die Spanne von der feudalherrschaftlichen „Lustjagd“ bis zu den heutigen Auswüchsen der „Trophaenjagd“, von der Vogelstellerei, über den Walfang, das Robbenschlagen, den Pelztierfang oder die Meeresfischerei in riesigen Netzanlagen, vom tierlichen Freizeitobjekt bis zum Versuchstier und zur industriellen Massentierhaltung - und den „Qualzüchtungen“ der Tierliebhaberei.

Das Tier ist in der Neuzeit in vormals nie bestehendem Ausmaß der Tierquälerei in ebenfalls unvorstellbaren Formen ausgesetzt. In einem einzigen Atemzug“ der Geschichte der Tier-Mensch-Beziehung ist das Tier der hemmungslosen Ausbeutung anheimgefallen. Es wurde zum „Nutztier“ , wobei aber nicht einmal eine begrenzende Definition der dazu gehörigen Arten besteht – jede Spezies kann in diesen unseligen Status abrutschen. Es bedurfte dann der Formulierung eines Tierschutzgesetzes (welchem dann aber alsbald ein Reichsjagdgesetz – 1934 – folgte, das sogleich, fadenscheinig begründet und verbrämt, regelte, wie man den zuvor gesetzlich beschützten Tieren zu Leibe zu rücken habe. Oder der große Schritt, den „Schutz der Tiere“ in unser Grundgesetz aufzunehmen …. . - Diesem „biozentrischen“ „Verfassungsrang“ stehen aber gleichermaßen vielerlei anthropozentrische Ansprüche gegenüber, wie etwa solche der freien Berufsausübung (z. B. beim „Schächten“), hinter denen abermals die Belange des Tieres zurückstehen. So wie auch unzählig viele Tiere in den Händen von „Liebhabern“ ihr Schicksal erfahren: Zunächst unter dem Weihnachtsbaum, dann voller Tierliebe malträtiert und fett gefüttert und schließlich zu Beginn der großen Urlaubsreise auf dem Autobahnparkplatz ausgesetzt … .

Ambivalenter kann die Beziehung im Gefüge der Organismengemeinschaften nicht sein! Freilich fanden sich wohl immer Persönlichkeiten, die eine besondere Beziehung zu den Tieren entwickelt haben und Vorbild wurden und sind; eine der berühmtesten historischen Erscheinungen ist da wohl Franz von Assisi. Aber, das waren und sind zunächst individuelle Ausnahmeerscheinungen. Die aber nicht ganz ohne Erfolg zu bleiben scheinen und deren Gedanken zum respektvollen Umgang mit dem Tier als „Mitgeschöpf“, dem gleichwertigen Partner in der Organismengemeinschaft, in den stetig wachsenden Kreisen jener weitergetragen werden, die sich für die Tiere artikulieren. Sicher war die Zahl der Menschen noch nie so groß wie heute, die für die Tiere ein Opfer bringen und für deren Wohlergehen eintreten. Doch hat das bisher noch nicht zu einer Verringerung der Opfer auf der Seite der den Egoismen der Menschen hilf- und wehrlos ausgelieferten Tiere geführt.

Dr. Eberhard Schneider